Zu den typischen Anforderungen an Antriebstechnik beim Einsatz in Industrieanwendungen gehören unter anderem hohe Zuverlässigkeit sowie hohe Temperatur- und Feuchtigkeitsbeständigkeit. „Hoch“ ist dabei jedoch relativ. Ersetzt man das Arbeitsumfeld in einer verhältnismäßig sauberen und wohltemperierten Werkshalle nämlich durch extrem unwirtliche Umgebungsbedingungen des Weltalls, bekommen Anforderungen wie „hohe Zuverlässigkeit“ eine völlig neue Bedeutung. Wie für solch spezielle Einsatzfälle dennoch auf Basis von Standardkomponenten Lösungen geschaffen werden können, beschreibt die folgende Anwendung.
Mit der Sonde JUICE (Jupiter Icy Moons Explorer) will die europäische Weltraumorganisation ESA die drei großen Jupiter-Eismonde Ganymed, Europa und Kallisto erforschen. Dazu muss die Sonde in den kommenden Jahren allerdings zuerst rund 778 Millionen Kilometer zurücklegen (Bild 1). Am 14. April 2023 wurde sie mit einer Ariane-5-Rakete ins All geschickt, hat inzwischen ein erstes Mal die Erde samt deren Mond umrundet und dabei Daten für die Kalibrierung gewonnen. Im August 2025 soll ein Vorbeiflug an Venus stattfinden, anschließend zwei weitere an der Erde. Dabei wird die Sonde jeweils beschleunigt und nimmt dann Kurs auf das Jupitersystem, das 2031 erreicht werden soll. Dann gilt es, in über 35 Fly-bys die Jupiter-Monde näher zu untersuchen. Schließlich soll die Sonde Ende 2035 planmäßig auf dem Mond Ganymed zum Absturz gebracht werden.
 Die Sonde JUICE (Jupiter Icy Moons Explorer) fliegt auf dieser Route von knapp 778 Millionen Kilometer zum Jupiter, um dort im Auftrag der europäischen Weltraumorganisation ESA die drei großen Jupiter-Eismonde Ganymed, Europa und Kallisto zu erforschen. (Urheber: Deutsche Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR))
Massenspektrometer im Weltall An Bord der Sonde befinden sich zehn hochspezialisierte wissenschaftliche Instrumente, die verschiedene präzise Messungen durchführen sollen und das unter extremen Bedingungen. So muss die Sonde beispielsweise Temperaturen zwischen - 230 und + 250 °C widerstehen. Das fordert auch der eingesetzten Technik einiges ab. Zudem müssen alle Komponenten mit möglichst wenig Energie auskommen. Die Sonde nutzt im Wesentlichen Sonnenenergie, die aufwändig gesammelt und gespeichert werden muss. Eine weitere Herausforderung bringt die Messaufgabe selbst mit sich: Die Sonde soll Magnetfelder vermessen und muss dazu magnetisch rein sein.
Die Universität Bern hat eine Schlüsselrolle in der JUICE-Mission übernommen. Sie war an der Entwicklung mehrerer wissenschaftlicher Instrumente beteiligt und hat mit dem Neutral and Ion Mass Spectrometer (NIM) ein hochpräzises Werkzeug für die Untersuchung der Jupitermonde beigesteuert. NIM gehört zur sogenannten Nadir Unit, die neben zwei weiteren Partikel-Sensoren das Herzstück des Particle Environment Package (PEP) bildet. Diese Einheit wurde von der Universität Bern entwickelt, integriert und umfangreichen Tests unterzogen.
Extreme Umgebung stellt extreme Anforderungen Das Ziel von NIM ist es, die chemische Zusammensetzung, Verteilung und physikalischen Eigenschaften der Teilchen in den Atmosphären der Eismonde zu analysieren. Die Messdaten sollen unter anderem Aufschluss darüber geben, ob auf den Monden potenziell lebensfreundliche Bedingungen existieren. Doch die Umgebung des Jupitersystems stellt höchste Anforderungen an die Technologie: Die enorm hohe Strahlung, die von Jupiters gewaltigem Magnetfeld erzeugt wird, könnte selbst die robustesten elektronischen Komponenten innerhalb kürzester Zeit zerstören.
Um NIM und die gesamte Nadir Unit vor dieser Strahlenbelastung zu schützen, wurden besondere Abschirmmaßnahmen ergriffen. Die Elektronik-Gehäuse bestehen aus Wolfram, was aufgrund seiner hohen Dichte eine effektive Barriere gegen energiereiche Partikel bildet. Ein weiterer kritischer Punkt war der Detektor des Massenspektrometers: Da die hochenergetischen Teilchen im Jupitersystem ähnliche Signale erzeugen wie die eigentlichen Messobjekte, nämlich ionisierte Gasatome und -moleküle, könnten ungeschützte Messungen im Rauschen untergehen. Deshalb wurde um den empfindlichen Detektorkern, der aus zwei nur 0,3 mm dünnen Glasscheiben mit 10 mm Durchmesser besteht, eine zusätzliche Abschirmung aus 1,5 kg Wolfram und Tantal verbaut.
Höchste Zuverlässigkeit und Präzision Neben dem Strahlungsschutz spielt auch die Zuverlässigkeit der Instrumente eine entscheidende Rolle: Da eine Reparatur im All nicht möglich ist, musste bei der Entwicklung jeder Aspekt mehrfach abgesichert werden. Um die chemische Zusammensetzung der Atmosphären der Jupitermonde präzise zu analysieren, benötigt das Massenspektrometer NIM eine flexible Messstrategie. Mit einem speziellen Mechanismus muss dazu zwischen verschiedenen Messmodi umgeschaltet werden. Je nach Modus muss die Eintrittsöffnung entsprechend angepasst werden, was von der eingesetzten Antriebstechnik höchste Präzision erfordert. Diese Aufgabe übernehmen Antriebe von FAULHABER. Auf Basis bewährter Komponenten wurde eine speziell an die Weltraumanforderungen angepasste Antriebslösung entwickelt.
 Bürstenloser DC-Motor (Serie 0824 ... B): Um Ausgasen zu minimieren und die Funktionsfähigkeit auch über die Jahre der Mission hinweg zu gewährleisten wurden unter anderem die Wicklungen der Motoren im Vakuum bei 100 °C ausgebacken.
Weltraumtaugliche Antriebstechnik Das Herzstück des Antriebs ist eine Kombination aus einem 8 mm bürstenlosen DC-Motor (Serie 0824 ... B) (Bild 2) und einem 10 mm Planetengetriebe mit einer Untersetzung von 1:256 (Bild 3). Das Motor-System mit einer eisenlosen, freitragenden, schräg gewickelten Rotorspule überzeugt mit geringem Gewicht und wenig Platzbedarf bei gleichzeitig hoher Leistungsdichte. Dr. Daniele Piazza aus der Abteilung Space Research & Planetary Sciences an der Uni Bern erklärt, warum diese Antriebslösung ausgewählt wurde: „Auf der einen Seite muss die ausgewählte Kombination die notwendigen Eigenschaften, wie Drehmoment, Untersetzung und Kompaktheit mitbringen, auf der anderen Seite müssen die Antriebe auch den harten Bedingungen der Weltraummission standhalten.“ Dazu wurden die Magnete der Motoren im Zyklotron des Inselspitals in Bern einer intensiven Strahlenprüfung unterzogen. Zudem wurden die Wicklungen der Motoren im Vakuum bei 100 °C ausgebacken, um das Ausgasen zu minimieren und die Funktionsfähigkeit auch über die Jahre der Mission hinweg zu gewährleisten.
 Weltraumtaugliche Antrieb-Getriebekombination. Sie kombiniert hohes Drehmoment, Untersetzung und Kompaktheit mit Robustheit für die extremen Einsatz-Bedingungen im Weltraum.
Gemessen an der Größer der Jupiter-Mission mag eine Antriebseinheit von nicht einmal einem Zentimeter Durchmesser und wenigen Zentimetern Länge winzig wirken. Aber wie in jeder großen Mission tragen gerade auch kleine Teile zum Erfolg oder Misserfolg bei. Im Massenspektrometer zuverlässig zwischen verschiedenen Messmodi umschalten zu können hat wesentlichen Einfluss auf die ermittelbaren Messdaten und dem Umfang der wissenschaftlichen Untersuchungen. Man darf gespannt sein, welche Schlüsse Wissenschaftler aus den Ergebnissen der Messungen ab 2031 ziehen werden. Aber schon jetzt – nach gut zwei Jahren Weltraumeinsatz und dem ersten Vorbeiflug und Messungen an Mond und Erde – hat die eingesetzte Antriebstechnik ihre Weltraumtauglichkeit bewiesen. Sicher werden sich die kompakten, robusten und leistungsstarken Antriebe auch künftig noch weitere interessante Einsatzgebiete mit Extrembedingungen erschließen.
Firmenprofil Seit 1962 entwickelt, produziert und vertreibt FAULHABER SA hochqualitative Antriebskomponenten, vor allem die leistungsstarken DC- Kleinstmotoren, die auf dem System FAULHABER® basieren. Die Produkte werden nach dem neusten Stand der Technik entwickelt und gefertigt, um den höchsten Anforderungen in der Welt der Klein- und Kleinst-Antriebstechnik zu entsprechen.
 Firmengebäude der FAULHABER SA in Croglio
In Croglio im Kanton Tessin beschäftigt FAULHABER SA momentan 260 Mitarbeiter, die ein breites Spektrum an Motor-, Getriebe- und Linearantriebstechnologie des umfangreichen Produktprogramms von FAULHABER entwickeln und produzieren. Ein großer Teil der dort gefertigten Komponenten und Antriebssysteme ist für renommierte Schweizer Unternehmen aus den Bereichen Medizin- und Labortechnik, Optik, Uhren sowie Automation und Robotik bestimmt.
|